- Interviews
Bundesweit und plattformbasiert: Planungs- und Genehmigungsverfahren digital neugestalten!
Doppelinterview mit Dr. Christine Brockmann und Marco Brunzel, AWV-Vorstandsmitglieder und Leitungsteam der Projektgruppe „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“
Vor dem Hintergrund anspruchsvoller gesellschaftlicher Herausforderungen – etwa dem klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und der öffentlichen Infrastrukturen, dem Breitband- und Mobilfunkausbau oder dem Wohnungsbau – kommt raumbezogenen Genehmigungsverfahren in Bund und Ländern strategische Bedeutung zu. Um all die Herausforderungen meistern zu können, müssen vor allem die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller und effizienter werden. Die AWV möchte diesen Prozess aktiv unterstützen. Dazu wurde im Herbst 2022 die AWV-Projektgruppe 1.2.1 „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ gegründet.
Frau Dr. Brockmann, Sie leiten gemeinsam mit Herrn Brunzel die neu gegründete Projektgruppe 1.2.1 „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“. Was war der Anstoß dafür, sich diesem Thema zu widmen, und welches Ziel verfolgt die Projektgruppe?
Dr. Christine Brockmann: Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts sicherstellen und die aktuellen Transformationserfordernisse konsequent angehen wollen, dann kommt den raumbezogenen Genehmigungsverfahren eine zentrale Bedeutung zu. Egal ob der Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Umsetzung der Energie- und Mobilitätswende, die Modernisierung unserer Industrieanlagen oder der Bau von Wohnungen – wir brauchen dringend schnellere und schlankere Genehmigungsverfahren. Die Gründung der Projektgruppe basiert zum einen auf der Überzeugung, dass sich erst durch eine durchgängige Digitalisierung der Genehmigungsverfahren und neue Arbeits- und Kooperationsformen im Back-Office der Verwaltung die Prozesse wirklich beschleunigen lassen. Zum anderen sind wir davon überzeugt, dass wir die angestrebten Effizienzpotenziale bei Unternehmen und Verwaltungen nur dann heben können, wenn beide Seiten gemeinsam an Lösungen arbeiten und hierbei sowohl die Anforderungen der Wirtschaft als auch des Verwaltungsvollzugs berücksichtigt werden. Die AWV bietet seit je her als neutrale, interdisziplinäre Plattform den geeigneten Rahmen hierfür. In unserer Projektgruppe wollen wir in enger Zusammenarbeit mit Vertretern aus Wirtschaft und Verwaltung konkrete, praxisorientierte Lösungsvorschläge für die Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren identifizieren.
Wichtig ist uns dabei, dass wir nicht in den jeweiligen planungsrechtlichen Silos (z. B. BauGB, BImschG oder TKG) verhaftet bleiben, denn in ihren Prozessschritten weisen die Genehmigungsverfahren große Ähnlichkeiten auf. Wir suchen hier explizit nach Synergiepotenzialen und der Übertragbarkeit von „Good-Practice-Ansätzen“. Unser Ziel ist es, die Ergebnisse der Projektgruppe in laufende oder geplante Digitalisierungsvorhaben einzubringen. Auch würden wir gerne einen Beitrag zur operativen Umsetzung des Bund-Länder-Pakts leisten, sofern er denn im November bei der Ministerpräsidenten-Konferenz verabschiedet wird.
Herr Brunzel, wie lassen sich die Potenziale der Digitalisierung im Bereich der raumbezogenen Genehmigungsverfahren konkret erschließen und wo bestehen diesbezüglich die größten Herausforderungen?
Marco Brunzel: Bei den raumbezogenen Genehmigungsverfahren sind im Zuge der OZG-Umsetzung bereits einige Digitalisierungsprojekte angestoßen worden, etwa im Bereich der Baugenehmigung / Hochbau (Federführung Mecklenburg-Vorpommern), dem Breitbandausbau / Tiefbau (Federführung Hessen und Rheinland-Pfalz), der Anlagengenehmigung / BImSchG (Federführung Schleswig-Holstein) oder auch der Beteiligungsverfahren (Federführung Hamburg). Doch für eine wirkungsvolle Beschleunigung der Prozesse brauchen wir jetzt eine höherwertige Digitalisierung auf der Grundlage von daten- bzw. plattformgetriebenen Infrastrukturen, die sowohl die IT-Anforderungen der Wirtschaft stärker berücksichtigen als auch die Voraussetzungen für die Realisierung von Once Only oder den Einsatz innovativer Technologien (z. B. BIM) mitbringen. Da alle von uns betrachteten Genehmigungsverfahren einen Raumbezug haben, müssen wir zudem die digitale Bereitstellung von Planungsinformationen mitdenken, deren Qualität übrigens auch einen erheblichen Beschleunigungseffekt haben kann.
Allerdings ist der Weg zu einer umfassend vernetzten Verwaltung noch weit und daher wollen wir in der Projektgruppe zunächst einmal die Ergebnisse aus den genannten OZG-Projekten nebeneinanderlegen und mögliche Synergien identifizieren. Dies kann sich auch auf die Zusammenführung und Nachnutzung technischer Bausteine beziehen, durchaus aber auf die Übertragbarkeit innovativer Architektur- und Lösungskonzepte.
Es ist uns ein Anliegen, deutlich zu machen, dass wir beim digitalen Neudenken raumbezogener Genehmigungsverfahren die Potenziale neuer Technologien im Sinne einer vernetzten Verwaltung bei weitem noch nicht ausschöpfen. Die größten Herausforderungen liegen in erster Linie nicht im technologischem Bereich, sondern vor allem in der notwendigen Zusammenarbeit über Verwaltungsgrenzen hinweg. Das betrifft sowohl die notwendige Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachressorts als auch die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Zudem stellen plattformbasierte IT-Lösungen auch im öffentlichen Sektor etablierte Geschäftsmodelle sowie Markt- und Wettbewerbsstrukturen in Frage. Hier gilt es innovative Transformationspfade zu finden, um beispielsweise die aktuell in der bestehenden Fachverfahrenslandschaft gebundene Expertise gesamtgesellschaftlich bestmöglich zu nutzen.
Frau Dr. Brockmann, an welchen Stellschrauben muss man für eine gelingende Digitalisierung raumbezogener Genehmigungsverfahren ansetzen? Was gilt es zu bedenken und welche Voraussetzungen müssen vielleicht erst noch geschaffen werden?
Dr. Christine Brockmann: In unserer Projektgruppe haben wir ein ganzheitliches Verständnis von Digitalisierung. Daher wollen wir nicht nur technologische Optimierungspotenziale identifizieren, sondern nehmen auch die organisatorischen und rechtlichen Aspekte für eine gelingende Digitalisierung raumbezogener Genehmigungsverfahren in den Blick. Tatsächlich gibt es auch hier schon viele gute Vorarbeiten z. B. von Seiten der Wirtschaftsverbände oder den Normenkontrollräten auf Bundesebene bzw. in Baden-Württemberg. Gerade im Bereich der organisatorischen Gestaltungspotenziale finden sich viele Ansatzpunkte für eine Vereinfachung und Beschleunigung der Prozesse. So sorgt eine höhere Standardisierung der Verfahrensabläufe und die Bereitstellung von Leitfäden bei allen Beteiligten für mehr Transparenz und Effektivität. Da die meisten der von uns betrachteten Genehmigungsprozesse mit einer Konzentrationswirkung ausgestattet sind, gibt es zwar für den Antragsteller einen Single-Point-of-Contact, aber die hohe Komplexität besteht vor allem auf der Verwaltungsseite, wo eine Vielzahl von Behörden auf kommunaler und Landesebene koordiniert werden müssen. Daher braucht es eine professionelle Verfahrenssteuerung, die mit entsprechenden Kompetenzen im Projektmanagement, aber auch mit Tools für Controlling und kollaborative Zusammenarbeit hinterlegt ist.
Darüber hinaus könnten KI-basierte Wissensplattformen Verwaltungsmitarbeitende von umfangreichen Recherchen entlasten, was jedoch voraussetzt, dass die zahlreichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der verschiedenen Ebenen über einen einheitlichen Zugang erschlossen sind.
Und dann gibt es noch die vielen kleinen und größeren rechtlichen Stellschrauben, an denen man für eine Verfahrensbeschleunigung ansetzen kann, was mit Blick auf den Ausbau Erneuerbarer Energien auch schon angegangen worden ist. Doch sind wir mal ehrlich: Natürlich sagen immer alle, dass man erst optimieren und dann digitalisieren soll, aber in wie vielen Projekten haben wir das schon konsequent umgesetzt? Aus unserer Sicht ist einer der Gründe dafür, dass hier unterschiedliche Stellen zuständig sind, und deshalb wollen wir in unserer Projektgruppe die Fachlichkeit und Digitalisierung zusammenführen, um ganzheitliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Herr Brunzel, an welcher Stelle des Prozesses, den Frau Dr. Brockmann gerade skizziert hat, stehen wir, und welche zusätzlichen Treiber braucht es möglicherweise, um schneller voranzukommen?
Marco Brunzel: Tatsächlich denken wir aktuell noch zu oft in den Kategorien der „Elektrifizierung“ bestehender Prozesse und Strukturen. Das Potenzial der neuen Technologien schöpfen wir erst dann aus, wenn wir auch mögliche neue Formen der Leistungserbringung in den Blick nehmen. Hier gilt es, neue plattformbasierte IT-Lösungen mit neuen organisatorischen Möglichkeiten zu kombinieren. Nur so erreichen wir die notwendigen Skaleneffekte, welche wir vor dem Hintergrund des demographischen Wandels dringend benötigen. Hier bieten sich vor allem die Prozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung an, da auf beiden Seiten der Schnittstelle in der Regel professionelle Akteure arbeiten. Unternehmen wollen keine Onlineformulare ausfüllen, sondern möglichst strukturierte, maschinenlesbare Daten austauschen, einmal vorhandene Daten sollen für weitere Verwaltungskontakte sowie für Melde-und Berichtspflichten nachgenutzt werden – und das Ganze möglichst medienbruchfrei und automatisiert, von Maschine zu Maschine. Für solch ein wirtschafts- bzw. branchenorientiertes E-Government braucht es aus unserer Sicht eine entsprechende konzertierte Aktion von Bund und Ländern.
Dazu vielleicht zwei Beispiele: Von einer digitalen Bau- und Planungsplattform, an die über die zwischenzeitlich sogar verbindlich vorgeschriebenen offenen Schnittstellen xBau/xPlanung alle unteren Baubehörden angeschlossen sind, würden bundesweit über 140.000 Architektinnen und Architekten, Ingenieurinnen und Prüfingenieure, Bauträger sowie Träger öffentlicher Belange sehr konkret profitieren – die ja bekanntlich nicht nur an einem Ort planen und bauen. Noch größere Potenziale ließen sich erschließen, wenn alle Unternehmen einer bestimmten Branche ihre Anträge mit der Verwaltung vollständig maschinell austauschen könnten, wie dies beispielsweise im Bereich des Breitbandausbaus denkbar wäre und bei der Konzeption der entsprechenden OZG-Lösung bereits mitgedacht wurde.
Doch um in diese „neuen“ Geschäftsmodelle öffentlicher Leistungserbringung zu wechseln, gilt es, bestehende Strukturen konstruktiv in Frage zu stellen. Das aktuelle Eckpunktepapier der Bundesregierung, welches mit dem Entwurf des OZG-Folgegesetzes beschlossen wurde, setzt hier erste Akzente. Die Bundesländer werden darin u.a. gebeten, darüber nachzudenken, für welche übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung oder Auftragsangelegenheiten ggf. eine Rückverlagerung an den Bund in Frage kommt oder zumindest eine zentrale IT-Plattform der Verwaltungscloud bereitgestellt werden soll. Insofern beschäftigen auch wir uns in der Projektgruppe mit der Frage, wie bei den raumbezogenen Genehmigungsverfahren eine intelligente föderale Zusammenarbeit aussehen könnte, um zentrale Plattformlösungen auf den Weg zu bringen. Hierbei sollte die Komplexität von IT-Plattformen nicht unterschätzt werden: Für die Orchestrierung einer Vielzahl von Nutzenden auf Seiten der Unternehmen wie auch der Verwaltung benötigt es eine klare Governance und IT-Architektur sowie verbindliche Standards, Schnittstellen und Basiskomponenten.
Eine Frage an Sie beide: Wo sehen Sie beide die Stärken der Projektgruppe und welche Aspekte möchten Sie besonders vorantreiben?
Dr. Christine Brockmann: Um die Frage zu beantworten, sollten wir mit der AWV beginnen. Seit fast 100 Jahren engagiert sich der Verein für den Abbau von Bürokratie und die Förderung wirtschaftlich effizienter Arbeitsweisen an den Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Dabei gehört es zur besonderen Erfolgsgeschichte der AWV, dass der Verein sich im Laufe der Zeit immer wieder mit sehr schwierigen und zunächst „unvorstellbaren“ Innovationen beschäftigt hat. Zu denken ist hier beispielsweise an den Ersatz der Lohnsteuerkarte aus Papier: Die AWV hat den elektronischen Abruf der Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) maßgeblich vorangetrieben, so dass die vorher millionenfach verteilte Lohnsteuerkarte abgeschafft werden konnte.
Diese ausdauernde Herangehensweise motiviert auch uns beide zum Engagement für AWV und hat uns dazu bewogen, die Projektgruppe „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ ins Leben zu rufen. Die Unterstützung durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung bestärkt uns darin, dieses Thema nachhaltig fach- und ressortübergreifend voranzutreiben.
Marco Brunzel: Die aktuelle Zusammensetzung der Projektgruppe ist dabei eine besondere Stärke. Experten und Praktiker aus Wirtschaft und Verwaltung bringen ihr fachliches Know-how ein, um gemeinsam Win-Win-Lösungen zur Digitalisierung und Verwaltungsvereinfachung zu erarbeiten. Auf diese Weise lässt sich Nutzenorientierung und Praxisnähe von Anfang an gewährleisten.
Unser Ziel ist die Erarbeitung und Unterstützung konkreter Maßnahmen, so wollen wir etwa unter Berücksichtigung guter Praxisbeispiele einen Soll-Referenzprozess sowie einen Umsetzungsvorschlag für ein entsprechendes Modellprojekt erarbeiten. Für die Konkretisierung strategischer Ziele arbeiten wir mit Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden im Rahmen der AWV als neutraler Plattform zusammen. Auf diese Weise können wir die Praxistauglichkeit und Akzeptanz neuer Lösungsansätze frühzeitig antizipieren. Und natürlich freuen wir uns auch über weitere Mitstreiter, die gemeinsam mit uns eine kontinuierliche Vereinfachung der Verwaltungsprozesse voranbringen wollen.
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