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Nachhaltigkeit als Gegenstand von Prüfungen durch den Bundesrechnungshof
vonAhmed Demir (Bundesrechnungshof, Berlin)
Der Bundesrechnungshof (BRH) stellt in einer Prüfung regelmäßig die Frage, ob, und wenn ja, wie Nachhaltigkeitsaspekte in eine Entscheidung eingeflossen sind – oder auch warum nicht. Ahmed Demir (BRH) erläuert, wie Nachhaltig im Verwaltungshandeln berücksichtigt werden sollte, damit man einer Prüfung durch den Bundesrechnungshof – auch in dieser Hinsicht – entspannt entgegensehen kann.
„Für Nachhaltigkeit fehlt mir das Geld.“ So oder so ähnlich argumentieren Haushälter immer wieder, wenn der Bundesrechnungshof in einer Prüfung Fragen zur Nachhaltigkeit stellt. Besonders beliebt ist auch der Satz: „Das gesetzlich verankerte Sparsamkeitsgebot lässt Mehrausgaben für eine nachhaltige Alternative nicht zu.“ Beide Aussagen lassen darauf schließen, dass die handelnden Personen das Leitprinzip Nachhaltigkeit nicht wirklich verinnerlicht haben. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie das Leitprinzip im Verwaltungshandeln berücksichtigt werden sollte, damit man einer Prüfung durch den Bundesrechnungshof – auch in dieser Hinsicht – entspannt entgegensehen kann.
Nachhaltigkeit als erklärtes Leitprinzip von Regierung und Parlament
Das Streben nach einer nachhaltigen Entwicklung ist seit vielen Jahren erklärtes Leitprinzip von Bundesregierung und Deutschem Bundestag. Im Jahr 1998 wurde es erstmals in einem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Und auch in den Koalitionsverträgen für spätere Legislaturperioden war die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung stets als grundlegendes Politikziel enthalten. Folgerichtig hat die Bundesregierung das Leitprinzip Nachhaltigkeit auch in der regelmäßig aktualisierten Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie fest verankert, zuletzt im Jahr 2021. Dort heißt es u. a.:
„Nachhaltigkeitsprinzip 1
‚Übergreifendes Ziel und Maßstab allen Handelns ist es, die natürlichen Lebensgrundlagen der Erde dauerhaft zu sichern und allen Menschen jetzt und in Zukunft ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Hierfür sind bei allen Entscheidungen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sowie soziale Gerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe […] so zusammenzudenken, dass Entwicklungen für heutige und künftige Generationen auch in globaler Betrachtung ökologisch und sozial tragfähig sind. Politisches Handeln muss kohärent sein.‘“1
Dem Leitprinzip Nachhaltigkeit zu folgen, bedeutet im Kern, allen Entscheidungen Nachhaltigkeitsüberlegungen zugrunde zu legen. Der Bundesrechnungshof prüft Entscheidungen. Dementsprechend stellt er in einer Prüfung regelmäßig die Frage ob, und wenn ja, wie Nachhaltigkeitsaspekte in die Entscheidung eingeflossen sind – oder auch warum nicht.
Das bedeutet indes nicht, dass die Frage der Nachhaltigkeit ein neuer Prüfungsmaßstab ist. Der Bundesrechnungshof prüft also nicht, wie nachhaltig eine Entscheidung ist. Vielmehr bleiben die Wirtschaftlichkeit und die Ordnungsmäßigkeit unverändert die beiden verfassungsrechtlich verankerten Prüfungsmaßstäbe.2 Nachhaltigkeitsaspekte müssen aber – dem Leitprinzip Nachhaltigkeit folgend – auch in die Prüfung einfließen und bei der Beurteilung eines Sachverhalts anhand dieser beiden Maßstäbe angemessen berücksichtigt werden. In diesem Beitrag soll nachfolgend erläutert werden, wie dies erreicht werden kann, also wie Nachhaltigkeitsaspekte in Entscheidungen der Verwaltung und in Prüfungen des Bundesrechnungshofes zur Geltung kommen können. Die Ausführungen beziehen sich dabei grundsätzlich auf die Bundesebene. Nachhaltigkeit ist aber nicht nur für den Bund ein Thema. Denn auch die Regierungschefinnen und -chefs der Länder haben sich im Jahr 2019 zum Leitprinzip Nachhaltigkeit und zu den Nachhaltigkeitszielen bekannt.
Nachhaltigkeit als eine Facette der Ordnungsmäßigkeit
In den vergangenen Jahren hat der Bund verschiedene Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen, die den Gedanken der Nachhaltigkeit stärker in das Verwaltungshandeln hineintragen und so das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele unterstützen sollen. Die Vorschriften enthalten z. T. sehr konkrete Regelungen, die bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen der öffentlichen Hand zu beachten sind. Hierzu zählen u. a.
- das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG),3
- die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima),4
- der Gemeinsame Erlass für die Beschaffung von Holzprodukten (Gemeinsamer Holzerlass),5
- das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG),6
- das Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz (SaubFahrzeugBeschG),7
- die Allgemeine Verwaltungsvorschrift Saubere Fahrzeuge (AVV Saubere Fahrzeuge)8 und
- das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).9
In einer Prüfung würde der Bundesrechnungshof folglich hinterfragen, ob es mit Blick auf die geprüfte Maßnahme (verbindliche) Vorschriften zur Nachhaltigkeit gibt, und ob sie eingehalten wurden.
Ein Beispiel:
Das Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz sieht in Verbindung mit der AVV Saubere Fahrzeuge verbindliche Emissionsgrenzwerte vor, die öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Fahrzeugen einhalten müssen.
Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt diese Vorschrift darauf ab, einen „Nachfrageimpuls von sauberen, d. h. emissionsarmen und emissionsfreien Straßenfahrzeugen zu fördern und somit die Emissionen im Verkehrsbereich zu reduzieren. Durch den Beitrag zur Verringerung der CO2- und Luftschadstoffemissionen werden die politischen Ziele in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz gestärkt und die öffentliche Verwaltung wird ihrer Vorbildfunktion gerecht.“10
Seit August 2021 müssen öffentliche Auftraggeber beispielsweise sicherstellen, dass mindestens 38,5 % der neu zu beschaffenden Pkw nicht mehr als 50g CO2 pro km ausstoßen. Soweit der Bundesrechnungshof ein solches Beschaffungsvorhaben prüft, wird er natürlich auch der Frage nachgehen, ob die Verwaltung diese Vorgabe erfüllt hat. Auf diese Weise fließen Nachhaltigkeitsaspekte in eine Prüfung der Ordnungsmäßigkeit ein.
Derzeit gibt es zudem verschiedene Bestrebungen auf Ebene des Bundes und der Länder, die darauf abzielen, den Gedanken der Nachhaltigkeit im Haushaltsrecht zu verankern. Im Kern setzen diese Bestrebungen an zwei unterschiedlichen Punkten an:
- Erster Ansatzpunkt sind die öffentlichen Haushalte. Hier sollen die Auswirkungen von finanzwirksamen Maßnahmen auf das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele stärker berücksichtigt werden.
- Zweiter Ansatzpunkt sind die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Hier sollen Aspekte der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit berücksichtigt werden und so in die Entscheidung über eine finanzwirksame Maßnahme einfließen, und zwar auch dann, wenn die Maßnahme primär nicht dem Erreichen eines Nachhaltigkeitsziels dient.
Der Bundesrechnungshof unterstützt diese Bestrebungen.11
In diesem Zusammenhang wird teilweise die Position vertreten, dass Nachhaltigkeit ein Politikziel sei, das nicht im Haushaltsrecht verortet werden sollte. Dem ist allerdings zu widersprechen. Denn das Streben nach einer nachhaltigen Entwicklung ist als ein Versuch zu bewerten, jeder Entscheidung eine ganzheitliche Betrachtung zugrunde zu legen. Und allein die Vernunft gebietet es, diesen Ansatz zu verfolgen und ernst zu nehmen. Natürlich muss dabei der Aufwand für eine solche ganzheitliche Betrachtung in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.
Nachhaltigkeit als eine Facette der Wirtschaftlichkeit
Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist eines der zentralen Prinzipien für staatliches Handeln in Deutschland. Es leitet sich unmittelbar aus dem Gedanken ab, dass der Staat letztlich mit den Mitteln arbeitet, die ihm die Bürgerinnen und Bürger zur Erfüllung seiner Aufgaben treuhänderisch zur Verfügung stellen. Es bindet alle staatlichen Akteure und soll sicherstellen, dass die öffentlichen Mittel bestmöglich eingesetzt werden.
Die haushaltsrechtlichen Vorschriften sehen vor, dass die Verwaltung nur solche Ausgaben leisten darf, die zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes notwendig sind.12 Folglich darf die Verwaltung eine finanzwirksame Maßnahme nur dann in Angriff nehmen, wenn es dafür nachweislich einen konkreten Bedarf gibt. Zudem gilt, dass die Verwaltung für alle finanzwirksamen Maßnahmen angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchführen muss.13 Die Verwaltung muss also die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme stets vorab nachweisen.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Verwaltung nicht beliebige Nachhaltigkeitsfaktoren in eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einfließen lassen darf. Die Faktoren sind vielmehr aus den Nachhaltigkeitszielen der Bundesregierung abzuleiten, die diese insbesondere in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie niedergelegt und operationalisiert hat.
Das Leitprinzip Nachhaltigkeit muss sowohl in die Beschreibung des Bedarfs als auch in die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einfließen:
So weit Vorgaben und Empfehlungen zur Nachhaltigkeit den Bedarf für eine finanzwirksame Maßnahme mitbestimmen, wirken sie sich z. T. erheblich und unmittelbar auf die in Frage kommenden Alternativen aus. Alternativen, die insbesondere die verbindlichen Vorgaben zur Nachhaltigkeit nicht erfüllen, sind nicht bedarfsdeckend und dürfen damit in der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung nicht betrachtet werden.
Soweit sich Vorgaben und Empfehlungen zur Nachhaltigkeit bei den in der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung betrachteten Alternativen unterscheiden, können sie das Ergebnis z. T. erheblich beeinflussen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn sie sich unterschiedlich auf die Einnahmen und Ausgaben der Alternativen auswirken.
Fazit
Die Idee der Nachhaltigkeit ist in Deutschland nicht neu und das Streben nach einer nachhaltigen Entwicklung seit vielen Jahren gesellschaftlicher Konsens. Dementsprechend gibt es hierzulande bereits eine ganze Reihe gesetzlicher und untergesetzlicher Vorschriften, Handbücher, Leitfäden oder Checklisten, die bei der Planung und Umsetzung einer finanzwirksamen Maßnahme zu berücksichtigen sind oder als Hilfestellung dienen sollen.
Aber: Der eigentliche Schlüssel zu einem nachhaltigen Verwaltungshandeln ist das Leitprinzip Nachhaltigkeit. Denn es funktioniert grundsätzlich ohne gesetzliche Normen und ohne eine zentrale Steuerung, bei der stets die Gefahr droht, sich zu verzetteln. Es lässt sich im Kleinen wie im Großen umsetzen. Und es weist den Personen und Stellen die Verantwortung für ein nachhaltiges Handeln zu, die sie am besten wahrnehmen können, weil sie es sind, die letztlich über eine finanzwirksame Maßnahme entscheiden.
Das wiederholte, starke Bekenntnis der Bundesregierung zum Leitprinzip Nachhaltigkeit, bindet Regierung und Verwaltung. Es drückt aus, dass dieses Leitprinzip bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden soll. Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung soll die Entscheidung über eine finanzwirksame Maßnahme vorbereiten. In ihr sind alle entscheidungsrelevanten Faktoren – und damit auch Nachhaltigkeitsaspekte – zu berücksichtigen. Geschieht dies im Einzelfall nicht, so ist die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung unvollständig und die Bundesverwaltung dem Auftrag der Bundesregierung nicht sachgerecht nachgekommen.
1Die Bundesregierung (Hg.): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021 (Langfassung), S. 72, online. | |
2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 114 Absatz 2, online. | |
3 Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12.12.2019 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I 2513), das durch Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 18.8.2021 (BGBl. I 3905) geändert worden ist. Online. | |
4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) vom 19.10.2021, BAnz AT 22.10.2021 B1, online. Durch § 5 Satz 2 AVV Klima wurde die bis dahin geltende Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Leistungen (AVV-EnEff vom 18.5.2020, BAnz AT 26.5.2020 B1) mit Wirkung zum 1.1.2022 aufgehoben. | |
5 Gemeinsamer Erlass zur Beschaffung von Holzprodukten, GMBl 2010, 1786. | |
6 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz) vom 24.2.2012 (BGBl. I 212), das zuletzt durch Art. 5 des Gesetzes vom 2.3.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 56) geändert worden ist. Online. | |
7 Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeige (Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz) vom 9.6.2021 (BGBl. I 1691), online. | |
8 Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge in der Bundesverwaltung vom 30.12.2022, BAnz AT 30.12.2022 B9, online. | |
9 Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) vom 16.7.2021 (BGBl. I 2959), online. | |
10 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode (Hg.): Gesetzentwurf der Bundesregierung. Drucksache 19/27657, S. 1, online. | |
11 Vgl. Bundesrechnungshof (Hg.): Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO an das Bundesministerium der Finanzen: Nachhaltigkeit im Bundeshaushalt. Verankerung des Leitprinzips Nachhaltigkeit im Haushaltskreislauf vom 30.1.2023, online. | |
12 Vgl. § 6 Bundeshaushaltsordnung (BHO), online: www.gesetze-im-internet.de/bho/. | |
13 Vgl. § 7 Absatz 2 BHO. | |
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